- Chemienobelpreis 1902: Emil Hermann Fischer
- Chemienobelpreis 1902: Emil Hermann FischerDer deutsche Wissenschaftler erhielt den Nobelpreis für seine synthetischen Arbeiten auf dem Gebiet der Zucker und der Purine.Emil Hermann Fischer, * Euskirchen (bei Köln) 9. 10. 1852, ✝ Berlin 15. 7. 1919; 1874 Promotion an der Universität Straßburg, ab 1875 Tätigkeit als Assistent der organischen Chemie an der Universität München, 1878 dort Privatdozent und ab 1879 Professor der analytischen Chemie, ab 1881 Professor an der Universität Erlangen, 1888-92 Professor an der Universität Würzburg, 1892-1919 an der Universität Berlin.Würdigung der preisgekrönten LeistungSaccharide bestehen in der Regel aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis 1:2:1. Daher rührt der Name Kohlenhydrate. Die Arbeiten Emil Fischers haben sowohl zu Fragen der Klassifizierung wie auch zur Klärung der Chemie einzelner Saccharide beigetragen. Monosaccharide wie Glucose (Traubenzucker) und Fructose (Fruchtzucker) können als oxidierte Alkohole aufgefasst werden. Sie können sich zu größeren Molekülen verbinden, zum Beispiel zu den Disacchariden Saccharose (Rohrzucker), Maltose (Malzzucker) und Lactose (Milchzucker) oder zu Polysacchariden wie Glycogen und Cellulose.Synthese von SaccharidenFischer erwarb seine Grundkenntnisse der Chemie zu einer Zeit, in der es möglich war, als Assistent eine neue chemische Verbindung zu entdecken, während man Studenten in der Laborarbeit unterwies. Fischer gelang es mithilfe des so von ihm entdeckten krebserzeugenden Phenylhydrazins, alle sechs bis dahin bekannten in der Natur vorkommenden Saccharide chemisch zu trennen und zu untersuchen. Er hatte Erfolg in der Synthese dieser und, bis zum Zeitpunkt der Nobelpreisverleihung, noch etwa 30 weiterer künstlicher Zucker. Waren bis zu Fischers Arbeiten nur Zucker mit fünf oder sechs Kohlenstoffatomen bekannt, so gelang ihm die Synthese von Sacchariden mit zwei bis neun Kohlenstoffatomen. Unter Verwendung der von Fischer synthetisch hergestellten Saccharide trat die Bedeutung der geometrischen Struktur des jeweiligen Moleküls für die biochemische Umwandlung durch Enzyme zu Tage, beschrieben durch das Bild von Schloss und passendem Schlüssel. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Verbindungen werden durch eine stereochemische Betrachtungsweise verständlich.Der schwedische Chemiker Jöns Jacob Berzelius prägte 1830 den Beriff »Isomerie« (griechisch: »gleiche Teile«). Isomere sind demnach chemische Verbindungen, die dieselbe Anzahl gleicher Elemente aufweisen, jedoch unterschiedliche Eigenschaften haben. Um den Aufbau eines Moleküls zu versinnbildlichen, beschrieb Fischer Moleküle als Gebäude mit den einzelnen Atomen als Bausteine. In Fischers Bild resultieren die Differenzen aus einer unterschiedlichen Anordnung der Bausteine. Eine der wichtigen Eigenschaften bestand darin, die Ebene linear polarisierten Lichts um einen bestimmten Betrag, entweder nach rechts (entgegen dem Uhrzeigersinn, mit + gekennzeichnet) oder nach links (mit dem Uhrzeigersinn mit —) zu drehen. Diese Änderung des Drehsinns der einheitlich ausgerichteten Lichtwellen ist für eine bestimmte Substanz eine charakteristische Eigenschaft und war mit den damals verfügbaren Methoden leicht nachzuvollziehen. Sie ist eine denkbare Möglichkeit, den Verlauf einer chemischen Reaktion zeitlich zu verfolgen. Ein Gemisch aus gleichen Teilen der rechts- und der linksdrehenden Verbindung ist optisch inaktiv und heißt Racemat.Strukturaufklärung von KohlenstoffverbindungenAugust Kekulé, bei dem Fischer in Bonn Chemie studierte, hatte die Strukturaufklärung der Kohlenstoffverbindungen der organischen Chemie mit weiteren Postulaten vorangebracht. Dazu zählte die Annahme, dass Kohlenstoffatome stets vier Bindungen ausbilden und Ketten bilden können. Das »Gerüst« der Verbindung ist in der einfachsten Form definitionsgemäß die längste Kohlenstoffkette. Louis Pasteur postulierte 1860, dass alle optisch aktiven Verbindungen asymmetrisch gebaut seien. Jacobus van't Hoff (Nobelpreis 1901) und Joseph Achille Le Bel führten dies 1874 auf das Vorhandensein eines asymmetrischen Kohlenstoffatoms zurück. Dieses weist vier verschiedene Substituenten auf. Aus geometrischen Gründen folgt daraus, dass die Bindungen im Molekül nicht mehr zweidimensional in einer Ebene, sondern dreidimensional im Raum zu beschreiben sind. Für den »vierbindigen« Kohlenstoff bot sich dafür die aus vier gleichseitigen Dreiecken bestehende Tetraederpyramide mit dem Kohlenstoffatom im Zentrum an. Das nächste benachbarte Atom befindet sich an einer der Tetraederspitzen. Handelt es sich dabei um ein weiteres Kohlenstoffatom, so wird auch auf dieses das Tetraedermodell angewendet, sodass sich für Verbindungen mit einer Kohlenstoffkette eine Zickzack-Struktur ergibt. Bei ringförmigen Verbindungen resultiert daraus eine Sessel- oder eine Wannenform.Um die Diskussion der Reaktionsabläufe bei der Synthese komplizierter chemischer Verbindungen zu erleichtern, entwarf Fischer eine spezielle Schreibweise, die nach ihm benannten Fischer'schen Konfigurationsformeln. Seine Idee bestand darin, die dreidimensional zu denkende Struktur der Verbindungen wieder in die zweidimensionale Zeichenebene zurückzuverlegen. Die längste Atomkette einer Verbindung wird senkrecht abgebildet, die an den jeweiligen »Kettenatomen« befindlichen Substituenten waagrecht. Die keilartig dargestellten Bindungen liegen vor, die punktiert dargestellten hinter der Zeichenebene. Das Kohlenstoffatom mit der höchsten Oxidationszahl steht am Kopf der Kette. Durch diese Form der Darstellung entsteht ein übersichtliches Bild der chemischen Substanz, das für theoretische Überlegungen leicht handhabbar ist und zugleich die Anordnung der Atome und Atomgruppen im Raum berücksichtigt. Als Schlüsselsubstanz für die chemische Synthese von Sacchariden bezeichnete Fischer das Glycerin, jene vielseitige Chemikalie, die etwa Alfred Nobel als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Dynamit diente.Synthese von PurinIm Jahr 1776 entdeckten die schwedischen Chemiker Carl Wilhelm Scheele und Torbern Olof Bergman unabhängig voneinander die Harnsäure. Im menschlichen Körper führt ihre Ablagerung zu Gicht oder zu Blasen- oder Nierensteinen, im Tierreich kommt sie in Guano (Vogelexkrementen) und Schlangenexkrementen vor. Fischer nutzte die Harnsäure als Ausgangssubstanz für die Synthese von Purin, dem namensgebenden Grundkörper einer ganzen Stoffklasse. Zu dieser gehören auch das Coffein und das Theobromin, die Wirkstoffe des Kaffees, des Tees und des Kakaos. Ihm gelang es, die verschiedenen natürlichen Derivate (Abkömmlinge) des in der Natur nicht vorkommenden Purins daraus zu synthetisieren und sie auf chemischem Weg ineinander umzuwandeln. Aufgrund der bekannten anregenden Eigenschaften des Coffeins und des Theobromins verband sich mit der Untersuchung der biochemischen Reaktionen der Purinderivate die Hoffnung auf eine therapeutische Wirksamkeit. Zur Linderung der bereits erwähnten Beschwerden und bei Stoffwechselerkrankungen wurden nun Diäten mit »purinarmen« Nahrungsmitteln entwickelt.In Bezug auf Fischers Arbeiten verdient auch die zeitgenössische Diskussion Erwähnung, die Wirkung von Kaffeesurrogaten durch den Zusatz von synthetisch gewonnenem Coffein echtem Bohnenkaffee anzugleichen. »Der Laie«, so Fischer in seinem Preisvortrag, »steht solchen Prophezeihungen. .. gewöhnlich skeptisch gegenüber und im spezifischen Fall wird diese Skepsis nicht verringert durch die Tatsache, dass ein Bestandteil des Guano zum Ausgangsstoff für ein synthetisch hergestelltes Getränk wird.«N. Fuchsloch
Universal-Lexikon. 2012.